Plädoyer für mutigere Personalentscheide

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Jede neue Stellenbesetzung beinhaltet eine neue Chance für das Unternehmen – für die strategische Ausrichtung ebenso wie für die Positionierung im Markt und die Mitarbeiterkultur. Etwas mehr Kreativität und Mut in der Stellenbesetzung würde vielen Firmen gut tun.

Beim Rekrutierungsprozess geht es um mehr als nur darum, eine vakante Stelle zu besetzen. Doch anstatt sich vor der Neubesetzung Gedanken zu machen, ob der personelle Ersatz als wichtiges Puzzleteil zur dynamischen Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten dienen könnte, besetzen Unternehmen die Stellen oft schablonenhaft in technischer, deckungsgleicher Übereinstimmung mit dem vorhergehenden Profil.

Wir vermissen manchmal den Mut, abweichende Biografien zuzulassen – oft auch den Mut zum «Mut zur Lücke» im Lebenslauf. Die «eierlegende Wollmilchsau», die alle Anforderungskriterien gleichzeitig erfüllen soll, entspricht allzu oft dem Wunschprofil. Wollen Unternehmen eine Neubesetzung als Chance zur Anpassung und Veränderung wahrnehmen, beweisen sie mit Vorteil etwas Mut zum Risiko, zur Lücke, zur Individualität und zur vorurteilsfreien Sichtweise.

Mutloses Kästchendenken

Unternehmen streben stets danach, Risiko zu vermeiden. Gemäss dieser Maxime haben Kandidaten, die vom strikten Wunschprofil abweichen, kaum eine Chance. Dies gilt sowohl für Neu-, Quer- oder Wiedereinsteiger wie auch für junge und ältere Stellenbewerber. Im Sinne eines überhöhten Sicherheitsdenkens herrscht auch in der Stellensuche der Unternehmen oft ein fantasie- und mutloses «Kästchendenken»: Leere rote Schubladen werden mit roten, blaue Schubladen mit blauen Bewerbern gefüllt.

Dabei könnte sich Mut zum Risiko bei sorgfältiger Auswahl durchaus auszahlen: sei es durch Impulse für die Unternehmenskultur, das Erschliessen neuer Märkte mit alternativen Konzepten oder auch durch einen profilierteren Marktauftritt dank einer «Outside the box»-Denke. Es geht darum, den Fokus nicht nur auf die Risikovermeidung, sondern vermehrt auf die Chancen zu richten. Bedenklich sind hierbei auch die aussterbenden Gelegenheiten, im «Learning by doing»-Modell in einen Job hineinzuwachsen.

Der Arbeitsalltag ist meist derart schnell- und kurzlebig geworden ist, dass es Mitarbeitenden nicht mehr erlaubt wird, sich fehlende Fähigkeiten an einer neuen Stelle anzueignen – weil den Vorgesetzten die Zeit für die Wissensvermittlung fehlt oder schlicht kein Interesse daran besteht. Dabei sind kulturelle Unterschiede klar ersichtlich, wie wir aufgrund unserer mehrjährigen internationalen Erfahrung im Recruiting festgestellt haben. Während im europäischen Umfeld die Risikovermeidung bei der Kandidatenbeurteilung Priorität hat, spielen im angelsächsischen Kulturkreis Persönlichkeit und «transferable skills/experiences» eine ungemein grössere Rolle.

Mut zur Lücke

Ist es nicht so, dass jede personelle Lücke auch eine einmalige Chance zur Anwendung einer gelebten und somit glaubwürdigen Diversity innerhalb der Firma bietet? Etwa, welcher menschliche Gewinn ein neuer Kollege für die Teamkultur sein kann, der sich eine Auszeit genommen hat: sei es für die Betreuung seiner Kleinkinder, für eine Weiterbildung oder eine Weltreise.

Vielleicht sollten HR-Exponenten häufiger in ihren eigenen Reihen mehr Mut an den Tag legen und kreative Modelle vorleben, um innerhalb der Firma eine innovative Vorbildfunktion zu übernehmen. Damit könnten sie gegebenenfalls auch das Management zu alternativen Wegen bewegen.

Ein paar Beispiele: Teams könnten auch gezielt stärker alters- und geschlechterdurchmischt zusammengesetzt werden. Eine 100-Prozent-Stelle könnte – auch in Anbetracht der Heerscharen von teilzeitsuchenden Bewerberinnen – in ein Jobsharing umgewandelt werden, womit (im funktionierenden Fall) zwei hochmotivierte Mitarbeiterinnen gewonnen wären. Auch Männern könnten häufiger Teilzeitmodelle ermöglicht werden. Und auch auf Managementebene wäre durchaus eine grössere Flexibilität denkbar.

Verlust an Individualität

Elektronische Kandidatenportale unterstützen den unseligen Trend der uniformen Spezialisierung, indem sie die gesuchten Profile auf eine Anzahl vorgegebener elektronischer Schlagwörter beschränken. Ein Verlust an Individualität ist die Folge, da all jene, welche diese Schlüsselbegriffe nicht oder nur in Teilen mitbringen, auf der Strecke bleiben. Die vorherrschende Tendenz, Prozesse zu vereinfachen und zu standardisieren, fördert die grassierende Uniformierung in der Arbeitswelt: Die Immobilienexpertin wird Mühe haben, als Bewerberin für eine Assistenzposition ernst genommen zu werden, ebenso wie der auf der Privatbank tätige Controller nur eine geringe Chance hat, in die Industrie zu wechseln, oder der ehemalige Selbständigerwerbende einem Beweisnotstand unterliegt, inwiefern er sich den Wiedereinstieg in ein Angestelltenverhältnis zutraut.

Bei Quereinsteigern, Teilzeitmitarbeitenden oder andern «Exoten» liegt es auf der Hand, dass die Motivation und der Lernwille vermutlich grösser sind als bei einem Bewerber mit einem langjährigen, aber eingleisigen Leistungsausweis. Dabei täte mancherorts frischer Wind gut. Ebenso wären eine unvoreingenommene und unkonventionelle Aussensicht und der Input aus anderen Branchen für die bestehende Firmenkultur bereichernd. Warum bei Vakanzen nicht die Gelegenheit beim Schopf packen, um eingefahrene Muster aufzubrechen, Selbstreflektion auszulösen, Teams zu dynamisieren und neue Sichtweisen einfliessen zu lassen?

Dass mit der im Rekrutierungsprozess zu beobachtenden Standardisierung ein Verlust der Kandidatenvielfalt einhergeht, versteht sich von selbst. Der Kandidat mit einem breiten Erfahrungsschatz ist out, der Allrounder hat vielerorts ausgedient. Dass sich die Firmen dabei in eine gefährliche Abhängigkeit von Spezialisten (mit unbestrittener Fachkompetenz) begeben, wird leider oft ausser Acht gelassen.

Zudem besteht die Gefahr, dass stereotype Profile dieser Art zu einer Auswechselbarkeit der Arbeitgebermarke führen. Umgekehrt können sich diejenigen Arbeitgeber im Wettbewerb um die besten Talente profilieren, die bewusst auf Persönlichkeiten setzen und sich somit von ihren Mitkonkurrenten auf dem Markt abheben.

Anstatt starr an alten Denkmustern festzuhalten, sind Unternehmen gut beraten, auch für alternative Werdegänge und Lebenskonzepte offener zu sein. Als Belohnung lockt eine motivierte Belegschaft, die aufgrund ihrer erfrischenden Zusammensetzung förderlich ist für Produktivität und Kreativität.

Vorurteile in allen Schattierungen

Wie lange ist es noch vertretbar, in Inseraten das Höchstalter des gesuchten Mitarbeitenden zu beziffern? Wie lange können es sich die Wirtschaft und unsere Gesellschaft noch erlauben, das ungenutzte Potenzial der lebens- und arbeitserfahrenen «ü50» brachliegen zu lassen?

Vorurteile kommen in allen Schattierungen vor und erstrecken sich über den ganzen Lebenszyklus der Bewerber: Junge erleben Hindernisse wegen fehlender Erfahrung, Frauen ab 30 Jahren wegen potenzieller Familienplanung, Bewerber höheren Alters wegen vermeintlich fehlender mentaler Flexibilität, qualifizierte Kandidaten wegen angeblicher «Überqualifizierung». Gerade das Argument der «Überqualifizierung» ist neben der «fehlenden Erfahrung» zum Klassiker der Absagegründe geworden: Kandidaten berichten uns davon mit berechtigter Irritation.

Wo sammelt sich denn die Erfahrung, wenn nicht während der Arbeit, fragen uns junge, arbeitshungrige Kandidaten zu Recht. Zusehends gibt es immer mehr auch bestens qualifizierte Kandidaten, die trotz guter Leistungsausweise oft monatelang keine Stelle finden – und zynischerweise nehmen ihre Chancen auch noch proportional zur Arbeitslosigkeit ab.

Fazit

Firmen hätten einen echten Trumpf in der Hand, wenn sie im Sinne des Employer Branding mutigere Entscheidungen treffen würden. Hierfür braucht es keine grossangelegten Marketingkonzepte, sondern überzeugte und überzeugende Botschaften seitens der Topebene, ebendies zu tun, was andere noch nicht oder zu wenig verinnerlicht haben.

Diese Botschaft wird mindestens so gut ankommen wie viele andere, teure und super kreative Kommunikationsgags – davon sind wir überzeugt.

Vielleicht müsste man diesbezüglich auch die Kaderausbildung an unseren Top-Universitäten kritisch hinterfragen, denn dort wird die nächste Generation der Führungskräfte herangezogen: Unternehmen, Kandidaten und die Gesellschaft würden gleichermassen profitieren.

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