Recruiting in Zeiten des Fachkräftemangels – so gelingen langfristig orientierte und erfolgreiche Besetzungen von Führungsfunktionen
Original erschienen auf NZZ Jobs.
Die Mehrheit der Unternehmen hat heute Schwierigkeiten, bestens qualifizierte, motivierte und leistungsorientierte Führungskräfte zu finden. Die Nachfrage ist oft grösser als der Pool von Kandidaten. Diese artikulieren zudem ihre Präferenzen klarer und direkter und haben i.d.R. “mehrere Eisen im Feuer“ resp. eine Auswahl an Angeboten. Das spüren selbst über Jahrzehnte erfolgreiche und respektierte Unternehmen. Im KMU-Segment ist dies ganz besonders ausgeprägt. Innovative Arbeitgeber lassen sich hier jedoch einiges einfallen, um im Arbeitsmarkt attraktiv zu bleiben. Wer es sich leisten kann, der bezahlt unter Umständen mehr, offeriert Zusatzleistungen und verschiedenste Goodies – von der inhouse-Kinderbetreuung über das Fitnessangebot bis zur 100%igen Übernahme der PK-Beiträge. Dabei stellt sich allerdings immer die Frage, was dies langfristig für die Lohnkosten eines Unternehmens bedeutet. Es gibt jedoch auch Unternehmen, die es anders machen – vielleicht ist es gerade dieses „anders machen“, das zum Erfolg führt.
Die Identifikation mit dem Arbeitgeber und seinen Werten sowie die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit sind insbesondere bei der jüngeren Generation ungleich höher gewichtet – ebenso die Reputation des Unternehmens und seiner Führungskräfte. Dazu kommen der Wunsch nach mehr Flexibilität, die Bereitschaft Neues auszuprobieren und traditionelle Karriereansichten auch infrage zu stellen. Freiraum, Selbständigkeit sowie die aktive Mitbestimmung sind Faktoren, die vermehrt eingefordert werden. Die vertiefte Auseinandersetzung mit diesen veränderten Rahmenbedingungen ist ein Ansatzpunkt seitens der Arbeitgeber, um auf dem Kandidatenmarkt erfolgreich zu rekrutieren.
Was will ein Unternehmen – Mut zur Erneuerung
Ein oft gesehener Fehler ist es, einfach das bestehende Stellenprofil zu nehmen, es nuanciert anzupassen und eigentlich eine „copy paste“-Version des letzten Stelleninhabers zu suchen. Dies notabene in einer Zeit, wo sich die Wirtschaft und die gesuchten Profile unter dem Einfluss der Digitalisierung z T dramatisch verändern. Im Verlaufe des Prozesses erkennt man dann, dass einiges nicht stimmig ist: Sei es aufgrund von Absagen von Kandidaten, die sehr transparent und klar im Feedback sind oder weil selbst der erfahrenste Researcher nicht genug Kandidat:innen generieren kann bei einem zu engen Suchprofil. Oder man wartet mit einer sich abzeichnenden Vakanz viel zu lange und baut dann einen künstlichen Druck auf, der letztlich weder der Qualität der Suche noch dem Unternehmen nützt. Sich vorbehaltlos und rechtzeitig mit dem Profil und den Veränderungen seit der letzten Besetzung auseinanderzusetzen, ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Suche. Ebenso hilft es, Schwergewichte zu bilden und Prioritäten innerhalb des Profils zu setzen. Dies schafft auch gegenüber den Kandidat:innen Klarheit und macht eine Stelle oft attraktiver. Sich gut zu überlegen, ob interne Personen in Frage kommen ist weiter wichtig und kann nach innen und aussen ein Signal für aktuelle und potentielle Mitarbeitende sowie eine gute Durchmischung von “neuem und altem Blut“ und dem Aufbau von (Zukunfts-)Talenten sein.
Mut, es anders zu machen als die andern
Andersartigkeit hilft das eigene Profil im Arbeitsmarkt zu stärken. Dies zeigt sich nach aussen auf verschiedene Arten, angefangen von der Webseite über die Botschaften, die Mitarbeitende aller Stufen nach aussen tragen (Auftritt, Zufriedenheit, Leistung, Kundenorientierung, Positivität, Engagement usw.). Auch hier gilt: ein zufriedener Mitarbeitender tritt anders auf als eine frustrierte Person. Positive und echte Botschaften über das Unternehmen sind Gold wert. Eine überzeugende und positive Führung sowie wertschätzende Kultur tragen ebenso dazu bei. Das heisst keinesfalls, dass nicht gefordert werden darf. Im Gegenteil, gute Mitarbeitende schätzen sportliche Ziele und wollen lieber in dynamischen Unternehmen arbeiten. Dafür sind sie idR auch bereit, sich engagiert einzusetzen. Sich hier zu differenzieren, schafft Identität und macht das Unternehmen attraktiver für Aussenstehende.
Persönlichkeiten statt CVs rekrutieren!
Gerade in Zeiten trockener Arbeitsmärkte kommt der Persönlichkeit einer Führungskraft erhöhte Bedeutung zu. Die Persönlichkeitsaspekte sind weitgehend gegeben – fachliche Aspekte können bis zu einem gewissen Grad dazugelernt werden. Dies erfordert vom Unternehmen jedoch ein längerfristiges Denken. Starke Kandidat:innen zeichnen sich nämlich auch durch Lernfähigkeit und -bereitschaft aus. Der positive Effekt kann sich unter Umständen im Bereich der Unternehmenskultur bemerkbar machen und bereits mittelfristig einen „nicht-monetären Gewinn“ bedeuten. Eine immer stärkere Prozessorientierung sowie Fragmentierung der Verantwortlichkeiten wirken tendenziell dem Wunsch nach „unternehmerischen Kandidat:innen“ entgegen, denn es führt dazu, dass letztlich der Manager und nicht der Unternehmer eingestellt wird. Dies ist heute oft auch in der Tatsache ersichtlich, dass generalistisch aufgestellte Kandidaten wenig Chancen im Bewerbermarkt haben. Die Unternehmen orientieren sich oft zusehends kurzfristig und bevorzugen eine Person, die idR exakt die perfekte Erfahrung mitbringt und nicht zuerst noch dazulernen muss. Diesbezüglich offener zu werden und die Breite an Erfahrung einer Person auch als Chance für das Unternehmen zu erkennen kann unter Umständen langfristigen Mehrwert sowie ein positives Profil im Arbeitsmarkt bringen.
Die HR-Abteilung ist gefordert – eine Chance für das Unternehmen
In Zeiten von Digitalisierung, Prozessorientierung und -fragmentierung besteht die Gefahr, den „Kunden“ letztlich zu vergessen. Unternehmen suchen Menschen für die Stellenbesetzung und daher sollten Bewerbungsprozesse „kundenorientiert“ und einfach gestaltet werden. Der Kommunikation und Transparenz kommen grosse Bedeutung zu. Der „Kandidat ist König“-Ansatz ist kein Schwächezeichen. Verbindlichkeit im Umgang mit Kandidat:innen sowie „walk the talk“ in der HR-Abteilung sind letztendlich entscheidender als ein zusätzliches Schlagwort oder Programm. Vertrauen schaffen und eine Beziehung mit den passenden Kandidaten aufbauen macht letztlich das Unternehmen attraktiver im Arbeitsmarkt. Ebenso wichtig ist es, Mitarbeitende nicht nur an Bord zu holen, sondern sie auch zu halten und entwickeln – das ist der langfristig der wohl „billigste“ Weg. Dies verlangt Nähe zur Belegschaft– sowohl seitens der Führung als auch des HR. Ein modernes HR dient dann als Botschafter und Change Agent mit überragender Sozialkompetenz. Ein HR, das aus der Linie kommt und Verständnis für das Geschäft zeigt erhöht die Glaubwürdigkeit nach innen und aussen. Ein so agierendes HR gehört in die Geschäftsleitung und zeigt den Stellenwert des Humankapitals auch im Arbeitsmarkt.
Gelebte Unternehmenskultur statt perfektes Marketing
Kosten von Fehlbesetzungen sind oft verdeckt
Eine Fehlbesetzung ist immer teuer. Die direkten Kosten (Lohn und Nebenkosten) können in einer Kostenrechnung ermittelt werden und sind daher offensichtlich. Oftmals sind es jedoch die sich in keiner Erfolgsrechnung widerspiegelnden sogenannt verdeckten Kosten, die viel relevanter und substantieller sind. Mit dem Verlust von Mitarbeitenden geht ein Verlust von Know-how einher, das für die Zielerreichung fehlt. Diese werden nicht oder zu spät erreicht, was sich in Kosten, nicht erreichten Umsätzen usw. äussern kann. Weil vielleicht andere Mitarbeitende durch den Weggang emotional oder in ihrer direkten Arbeit tangiert sind, werden sie demotiviert oder verlassen ebenfalls das Unternehmen. Die Fluktuationsrate steigt und im weitesten Sinne leidet auch die Unternehmenskultur. Dies macht sich mittelfristig indirekt bemerkbar, indem die Firma als Arbeitgeber für starke Kandidaten u U weniger attraktiv wird, was beim herrschenden Führungskräftemangel umso fataler ist. Daher ist es extrem wichtig, dass die Ursachen von Fehlbesetzungen schonungslos analysiert werden, ohne Scheuklappen und falsche Rücksichtnahme, denn nur wenn die richtigen Lehren gezogen werden, kann es beim nächsten Mal klappen. Was sind die Gründe?
Ist es die falsch beurteilte Persönlichkeit des Mitarbeitenden?
Ist die Stelle organisatorisch falsch aufgehängt?
Stimmen Verantwortung und Kompetenz der Stelle überein?
Welche Rolle spielt der Vorgesetzte – besteht allenfalls ein Führungsproblem?
Sind Aufgabe und Profil stimmig oder muss das Profil angepasst werden?
Fehlten der Person wesentliche Qualifikationen und warum hat man dies nicht erkannt oder es ihr beigebracht?
Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen ist wichtig. Dies verlangt nach Transparenz und Mut zur Selbstkritik.
Persönlichkeit ist Key und gleichzeitig die Chance
Für die Rekrutierung bedeutet dies, dass der charakterlichen Integrität einer Führungskraft große Beachtung zu schenken ist. Auf der Übereinstimmung der Persönlichkeit mit der bestehenden – und längerfristig gewünschten – Kultur und den Werten eines Unternehmens muss der Fokus gelegt werden. Faktoren wie Führungsstil, Kommunikations-Authentizität, Bescheidenheit und stärkere Teamorientierung werden immer wichtiger.
Unternehmen müssen sich bewusst werden, dass der Reputation einer Führungskraft ein immer grösseres Gewicht zukommt, da diese auf verschiedenen Ebenen auf das Image einer Firma und ihrer Marken abfärbt. Ebenso die Reputation oft eine grosse Rolle, warum Talente zu einem Unternehmen stossen oder dieses verlassen. Hier braucht es eine Anpassung in Bezug auf das Profil einer modernen Führungskraft, denn Führung im digitalen Zeitalter wird deutlich anspruchsvoller.